Atemwegspferde & Heulage: Warum das vermeintlich staubarme Futter heikler ist als gedacht
Heulage genießt seit Jahren den Ruf, eine moderne und staubarme Alternative zu Heu zu sein – und wird besonders häufig für Pferde mit empfindlichen Atemwegen empfohlen. Dieser Gedanke wirkt zunächst logisch: Heulage enthält mehr Feuchtigkeit, wirbelt weniger Partikel auf und erscheint dadurch „schonender“ für die Lunge. Doch bei genauer Betrachtung hält dieser Vorteil einer fachlichen Prüfung nicht stand. Denn: Heulage ist ein hochsensibles Produkt, dessen Qualität sich von außen kaum beurteilen lässt. Häufig entstehen im Ballen mikrobiologische Prozesse, die auch für Atemwegspferden problematisch sein können. Die scheinbar einfache Lösung entpuppt sich damit oft als trügerische Sicherheit.
Staubarm – aber nicht automatisch besser
Der sichtbar geringere Staubanteil in Heulage bedeutet nicht, dass die Atemwege weniger belastet werden. Feuchtes, gärendes Raufutter bildet beim Umgang und beim Fressen mikrobielle Aerosole, die Träger von Hefen, Schimmelbestandteilen oder bakteriellen Endotoxinen sein können. Wichtig zu beachten: diese winzigen Partikel sind für das Auge unsichtbar, aber lungengängig – und besonders dann relevant, wenn die Gärung unvollständig war oder der Ballen Vorschäden aufweist.
Studien zeigen, dass die inhalierbare Belastung bei Heulage stark schwankt und bei mangelhafter Gärung deutlich höher ausfallen kann als bei korrekt gewässertem oder bedampftem Heu. Für Atemwegspferde, die auf mikrobielle Reize oft sensibler reagieren als auf klassischen Heustaub, ist dieser Unterschied entscheidend. (Couëtil & Ivester 2021; Vervuert 2018)
Warum man Heulage ihre Qualität nicht ansieht
Heulage zeigt von außen selten an, ob im Inneren hygienische Probleme existieren. Farbe, Geruch und Struktur können unauffällig wirken, während im Kern bereits Fehlgärungen, übermäßige Hefebildung oder Toxinproduktion stattfinden. Ein Heuballen hingegen verrät solche Störungen meist schnell durch Geruch, Verfärbung oder sichtbare Schimmelherde.
Diese Beurteilbarkeit macht Heu im Alltag verlässlicher – vor allem dort, wo Routine, Erfahrung und schnelle Entscheidungen notwendig sind. Für Atemwegspferde bedeutet das: Qualitätsabweichungen bei Heulage fallen oft erst auf, wenn bereits Symptome auftreten.
Die Gärungsbiochemie: Warum pferdegerechtes Grünfutter schwer zu silieren ist
Aus Sicht des Pferdes wäre strukturreiches, langfaseriges Heu ideal. Genau dieses Material lässt sich jedoch schlecht verdichten. Bleibt in der Ballenstruktur zu viel Sauerstoff eingeschlossen, läuft die Milchsäuregärung unvollständig ab. In solchen Fällen steigt das Risiko für Fehlgärungen, Nacherwärmung und mikrobielle Belastungen deutlich.
Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen formuliert es klar: Grobes, faserreiches Material führt leicht zu ungleichmäßigen Gärverläufen und hygienischen Mängeln. Genau diese Zusammenhänge bestätigten Müller et al. (2018) in Grass and Forage Science. Dort wurde gezeigt, dass Heulage aus strukturreichen Beständen häufiger höhere Hefen- und Schimmelzahlen aufweist und nach dem Öffnen schneller instabil wird. Das bedeutet: Ausgerechnet das Material, das aus Sicht der Pferdefütterung optimal wäre, ist für die Herstellung von Heulage technisch ungünstig.
Feine Gräser gären besser – sind aber nicht automatisch pferdegerechter
Um stabile Gärungen zu erreichen, wird Heulage häufig aus feinen, jungen Pflanzenbeständen hergestellt. Diese Pflanzen gären technisch zuverlässiger, bestehen jedoch aus einem ganz anderen Nährstoffprofil: Sie enthalten mehr Zucker und Fruktane, fördern weniger Kauaktivität und bilden weniger Speichel – alles Faktoren, die bei empfindlichen Pferden den Dickdarm stärker belasten können.
Damit entsteht ein Zielkonflikt:
Das Material, das pferdephysiologisch ideal wäre, eignet sich schlecht für die Gärung. Das Material, das technisch gut silierbar ist, entspricht nicht dem optimalen Raufutterprofil für Pferde.
Unsichtbare Risiken: Botulismus und anaerobe Keime
Heulage wird luftdicht verpackt. Dieser Sauerstoffabschluss ist gewollt, schafft jedoch perfekte Bedingungen für bestimmte Mikroorganismen. Sobald bei der Ernte Erde, Kadaverteile oder Vogelkot in den Ballen geraten, können sich Clostridien vermehren. Dazu zählt Clostridium botulinum, dessen Toxin zu den stärksten bekannten Giften gehört. Die Toxinbildung erfolgt im Inneren des Ballens – oft ganz ohne äußere Anzeichen.
Mehrere veterinärmedizinische Institute weisen darauf hin, dass Heulage bei fehlerhafter Herstellung oder Lagerung das höchste Botulismusrisiko unter den konservierten Raufuttermitteln trägt. Gerade für Atemwegspferde, die häufig ohnehin belastet sind, ist dies ein zusätzlicher Risikofaktor.
Kotwasser und Verdauungsinstabilität
Viele Pferde reagieren auf Heulage mit Kotwasser oder einer insgesamt unruhigen Verdauung, schwankende Kotkonsistenz. Der Grund liegt in den natürlichen Gärsäuren, die während der Silierung entstehen – darunter Milchsäure, Essigsäure und in kleineren Anteilen auch Buttersäure. Diese Säuren verändern das pH-Milieu im Dickdarm und können bei empfindlichen Tieren das mikrobiologische Gleichgewicht verschieben.
Beobachtungen aus der Beratungspraxis und Untersuchungen wie jene von Julliand et al. sowie Müller et al. zeigen, dass schwankende pH-Werte und erhöhte Hefen- oder Milchsäuregehalte häufig mit instabiler Kotkonsistenz einhergehen. Viele Pferde stabilisieren sich deutlich, sobald sie auf trockenes, analysiertes Heu umgestellt werden.
Für uns ergibt sich daraus ein klares Bild: Heulage bringt – insbesondere bei empfindlichen Pferden und im Hinblick auf Verdauung und Atemwege – viele potenzielle Nachteile und wenige echte Vorteile. Hochwertiges Heu bleibt das Raufutter, das am zuverlässigsten beurteilt, aufbereitet und langfristig stabil gefüttert werden kann. Bei Bedarf gewässert oder bedampft, bildet es die aus unserer Sicht pferdegerechteste Grundlage. Alles andere ist ein Kompromiss, den man bewusst eingehen muss – wir empfehlen ihn nicht.
Warum gutes Heu unersetzbar bleibt
Heulage kann unter idealen Bedingungen funktionieren. Doch „ideal“ heißt: absolut saubere Ernte, die richtige Trockenmasse, perfekte Verdichtung, makellose Folie, korrekte Lagerung und schnelle Verfütterung. Schon geringe Abweichungen bergen Risiken, die der Pferdehalter nicht immer erkennt.
Heu bleibt daher das stabilere, verlässliche und physiologisch sinnvollere Raufutter – auch für Atemwegspferde. In jedem Fall muss bei Heulage wie auch bei Heu sehr gute Qualität gefüttert werden. Aus Heu können Staubpartikel durch korrektes (10-20min reichen) wassern deutlich reduziert werden. Ein korrekt funktionierender Bedampfen kann die Fütterung hygienisch enorm aufwerten. Qualitativ ungeeignetes Heu ist auch vom Laien in der sensorischen Prüfung in den meisten Fällen gut zu erkennen.
Kann Heulage ebenfalls aufbereitet werden? – Wässern nein, Bedampfen ja
Auch wenn Heulage feuchter ist als Heu, bedeutet das nicht, dass sie hygienisch einwandfrei ist. Nach dem Öffnen steigt die mikrobiologische Aktivität häufig wieder an, insbesondere bei warmen Temperaturen oder längerer Liegezeit des Ballens. Das Wässern von Heulage ist in diesem Zusammenhang nicht optimal, da zusätzlicher Wassereintrag die Gärung reaktivieren und Hefen sowie Bakterien fördern kann.
Das Bedampfen hingegen kann – ähnlich wie bei trockenem Heu – die oberflächliche mikrobielle Belastung reduzieren. Untersuchungen zur thermischen Hygienisierung feuchter Raufutterfraktionen zeigen, dass Temperaturen über 100 °C sowohl Hefen als auch Schimmelsporen zuverlässig verringern können (Moore-Colyer 2014; Blackman & Moore-Colyer 2018; Ivester & Couëtil 2021). Für Atemwegspferde kann dies eine zusätzliche Absicherung sein, ersetzt jedoch in keinem Fall die Notwendigkeit einer einwandfreien Ausgangsqualität und einer zügigen Verfütterung nach dem Öffnen.
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